Montag, 24. März 2014

Gartenvielfalt auf dem Land (1)



In diesem großen bäuerlichen Nutzgarten gedeiht Gemüse zur Selbstversorgung. Alle Möglichkeiten der Ernteverfrühung werden genutzt. Fotos (3) Dr. Brunhilde Bross-Burkhardt



Traditionelle ländliche Gartenformen in Süddeutschland - Gärten am Bauernhof, ländliche Hausgärten, Krautgärten, Teil 1

Von Dr. rer. agr. Brunhilde Bross-Burkhardt

Die Publikumspresse ist derzeit voll von Artikeln über gemeinschaftliche gärtnerische Aktivitäten im städtischen Raum oder über opulente Vorzeigegärten. In den Medien liest man jedoch kaum etwas über ländliche Gärten. Das mag u.a. daran liegen, dass die normalen Nutzgärten unspektakulär sind und mit ihrem ungeschönten Erscheinungsbild kaum den ästhetischen Vorgaben der Buch- und Zeitschriftenverlage entsprechen.

Dabei geschieht in diesen Gärten ungeheuer viel. Hier gedeiht das Obst und Gemüse, mit dem die Bevölkerung sich zu einem guten Teil selbst versorgt. Sie sind Teil des Alltagslebens und nicht die Bühne für Selbstinszenierungen oder Müßiggang. Es liegt deshalb nahe, auch diese traditionellen ländlichen Gärten gebührend zu würdigen. Bei genauer Betrachtung ergibt sich ein sehr differenziertes Bild der Gartenformen auf dem Land. In diesem Artikel stelle ich die Einbindung in die Siedlungsstruktur in den Mittelpunkt und nicht, wie üblich in Veröffentlichungen über Gärten, die Gestaltung oder Anbaufragen.


Fast wie im Gewächshaus: nach Süden ausgerichteter Nutzgarten mit Zierpflanzen, Gemüse und Weinstöcken an der Stallmauer.

Formen privater Gärten auf dem Land (Nutz- und Ziergärten)
(Differenzierung nach Siedlungsstruktur)
  1. Gärten an landwirtschaftlichen Hofstellen im dörflichen Umfeld oder an Einzelhöfen bzw. Aussiedlerhöfen. Oft sehr große Nutzgärten zur weitgehenden Selbstversorgung. Gärten als Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche.
  2. Gärten im alten Siedlungskern der Ortschaften. Diese sind entsprechend der Besitzstruktur oft kleinflächig und zerstückelt, der Bebauung angepasst.
  3. Hausgärten von Privathäusern. Auf dem Land und in älteren Siedlungen der Kleinstädte sind Hausgärten oft 800 bis 1000 Quadratmeter groß oder noch größer. Neue Baugrundstücke werden meist mit 300 bis 500 Quadratmetern Fläche ausgewiesen.
  4. Gartengrundstücke außerhalb der Ortschaften, in Süddeutschland als „Stückle“ oder „Gütle“ bezeichnet. Neben Gemüse mit Obstbäumen und Beerensträuchern und anderen Dauerkulturen; häufig eingezäunt oder von einer Hecke umgeben.
  5. Private Gartenparzellen (Krautgärten) einzeln oder im Verbund am Rand von Ortschaften, meist nicht eingezäunt. Oft im Überflutungsbereich von Bächen und Flüssen. 



Intensiv bewirtschafteter bäuerlicher Nutz- und Ziergarten mit einer Vielfalt an Gemüse, Kräutern und Blumen.
1. Gärten an landwirtschaftlichen Hofstellen
An die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs „Garten“ fühlt man sich am ehesten beim Betrachten von ländlichen Gärten erinnert – bei Gärten an Hofstellen von Einzelhöfen, in Weilern oder kleinen Dörfern. Diese Gärten existieren oft schon seit Jahrhunderten, so lange wie die Höfe selbst. Zu vielen Hofstellen gehören große, offen daliegende und gut einsehbare Nutzgärten, im Idealfall umrahmt von einem Lattenzaun. Viele dieser Gärten sind aus praktischen Erwägungen nicht mehr eingezäunt, weil Zäune in der heutigen Zeit kaum mehr nötig sind und ihre Erhaltung sehr aufwändig ist.

Genau genommen gehörten zu den Hofstellen bis in die jüngste Vergangenheit oft mehrere Gärten mit differenzierter Bepflanzung und Nutzung: der Sommergarten bzw. Küchengarten in Hausnähe, der Obstgarten sowie der Krautgarten auf dem Acker außerhalb in der Feldflur.

Verzierter Nutzgarten oder Sommergarten
In ländlichen Regionen entdeckt man häufig noch sehr große Nutzgärten, die das Ortsbild bestimmen. Sie sind vielfach als traditionelle „verzierte Nutzgärten“ angelegt. In diesen Gärten in Hausnähe, den so genannten „Sommergärten“ oder „Küchengärten“, wurde früher das „feine“ Gemüse – Salate, Erbsen, Bohnen usw. – angebaut, während das „grobe“ Gemüse – Kraut, Lauch und Zwiebeln – auf dem Acker stand. Das Gemüseland ist in den verzierten Nutzgärten umsäumt von Rabatten mit Sommerblumen und Stauden. Etwas Beerenobst wird ebenfalls in diesen hausnahen Gärten kultiviert. Sträucher und hohe Bäume gibt es hier dagegen selten, weil diese dem lichtbedürftigen Gemüse zu viel Licht wegnehmen und dadurch den Ertrag schmälern würden.

Der Nutzgarten kann auf den Hofstellen vor oder neben dem Haus oder etwas abgerückt vom Haus angelegt sein. Manchmal sogar auf der anderen Straßenseite oder etwas weiter entfernt, je nach Topographie oder je nachdem, wo die Familie Land besitzt. Im Rahmen der Besitzgrenzen ist das Kleinklima entscheidend für die Auswahl des Nutzgartengeländes. Die Landbewohner wählten schon immer mit Bedacht sonnige und windgeschützte Flächen für die Gartennutzung aus. Sie wussten, dass nur an solchen Stellen Gemüse und Obst gut und gesund heranwachsen kann.

Obstgarten in Hausnähe
Der Obstgarten befand und befindet sich ebenfalls meistens in Haus- und Stallnähe. Dieser diente und dient oft als Hühnerauslauf. Den Ertrag der Streuobstbäume, der Äpfel, Mostbirnen und Zwetschgen brauchte man für die Mostbereitung und zum Schnapsbrennen. Schattige Obstgärten mit Hochstammobst legten sich wie ein Gürtel um kleine Dörfer und bildeten den Übergang in die freie Landschaft. In manchen Regionen ist dies heute noch so. Gerade diese Obstbaumgürtel um die kleinen Ortschaften machen den Reiz einer ländlichen Umgebung aus.

Krautgärten in der Feldflur
So groß diese Gärten am Haus auch sein mögen – für die Selbstversorgung reichte die Fläche in früheren Zeiten trotzdem nicht aus. Deshalb wurden Flächen in der Feldflur für das „grobe“ Gemüse in Kultur genommen; also für das Gemüse, das wenig Pflege braucht und weitgehend sich selbst überlassen werden kann. Das sind vor allem Kartoffeln, Zwiebeln, Lauch, Gelbe Rüben, Rote Rüben, Kraut und manchmal auch Erdbeeren. (Häufig wird lediglich das Grobgemüse als „G’müs“ bezeichnet. Grüne Salate gelten nicht als Gemüse.)

Solche Krautgärten gibt es vielfach auch heute noch. Auf Höfen, die Ackerbau betreiben, laufen die Gemüseanbauflächen am Rand von Getreideäckern oder Rüben- bzw. Kartoffeläckern einfach so mit. Sie entstehen jedes Jahr entsprechend der landwirtschaftlichen Fruchtfolge an einer anderer Stelle neu, sie wandern. So wird automatisch auch bei den gärtnerischen Kulturen die Fruchtfolge eingehalten.

Die Streifen fürs Gemüse werden bei der Bearbeitung der Ackerflächen mitgepflügt und geeggt. Nur die Unkrautbekämpfung während des Sommers erfolgt – abgesehen vom Säen, Pflanzen und Ernten – von Hand. Bei den genannten Gemüsearten reicht es, sie alle paar Wochen einmal durchzuhacken, um den Boden zu lockern und zu belüften und dabei auch das meist reichlich erscheinende Unkraut abzuhacken. Diese Gemüse müssen ohne Bewässerung auskommen. Das funktioniert normalerweise sehr gut. Nur bei sehr lang anhaltender Trockenheit muss eventuell zusätzlich bewässert werden. In dem Fall kommt das Gießwasser aus Wassertanks oder aus alten Jauchefässern am Rand des Ackers.

Der extensive Gemüseanbau auf dem Acker ist sinnvoll. Zwiebeln und Möhren vom Acker wachsen meistens viel größer und gesünder als die auf normalen Gartengrundstücken. Das kann verschiedene Gründe haben: 1. weil der nötige Fruchtwechsel eingehalten wird; 2. weil der Boden durch die Düngung der landwirtschaftlichen Kulturen gut mit Nährstoffen versorgt ist, und 3. weil die Gemüse nicht bedrängt von anderen Kulturen oder von Schattenwurf sind und sich gut entfalten können. Bei der Kultur von Möhren auf dem Acker zeigt sich immer wieder, dass sie hier kaum von der Möhrenfliege heimgesucht werden, die im Garten häufig großen Schaden verursacht und die Möhrenkultur im Hausgarten nahezu unmöglich macht.

Ein ländlicher Garten ist kein „Bauerngarten“
Die hier vorgestellten Gartenformen möchte ich nicht als „Bauerngärten“ bezeichnen, auch wenn sich dieser Begriff aufdrängt. Aber dieser Begriff ist aufgesetzt und falsch. Er bezieht sich auf die Gestaltung und nicht auf die Funktion. Mit den geschönten, aufwändig gepflegten „Bauerngärten“ der Gartenmagazine haben die wirklichen ländlichen Gärten ohnehin kaum etwas gemein. Die Gärten an landwirtschaftlichen Betrieben laufen nebenher, je nachdem, wie viel Zeit zur Bewirtschaftung bleibt. Es geht nicht darum, die Gärten zum Vorzeige- oder Prestigeobjekt zu machen. Obwohl die GärtnerInnen sicher nichts dagegen haben und stolz darauf sind, wenn der Garten schön und gepflegt aussieht. Es ist eben eine Frage der für die Gartenarbeit zur Verfügung stehenden Zeit. Wenn schon, müssten diese Gärten genau genommen Bäuerinnengärten heißen. Denn es sind hauptsächlich die Frauen, die Gärten auf den Höfen bewirtschaften. Und gerade die Bäuerinnen pflegen die Gärten mit Sachverstand. Es ist die einzige Berufsgruppe in Deutschland, die den Hausgartenbau im Rahmen ihrer Ausbildung in Ländlicher Hauswirtschaft oder als Dorfhelferin theoretisch und praktisch vermittelt bekommt.

Ländliche Gärten im Wandel
Die Bäuerinnen passen ihre Gartennutzung den Notwendigkeiten an. Sie haben die Gartenfläche verkleinert, weil auf den Höfen nur noch wenige Menschen leben. Hinzu kommt, dass viele Familien die Landwirtschaft aufgegeben haben oder nur noch Teilflächen bewirtschaften. Doch selbst wenn kein Ackerbau und keine Viehwirtschaft mehr betrieben werden, bleibt der Hof mit seinen Funktionsgebäuden, mit Ställen, Scheunen, Schuppen, Hühnerställen, usw. erhalten, und eben auch die Gärten. In manchen Regionen mit traditionellen Siedlungsstrukturen trifft man diese Gartenformen noch häufig an.

Traditionelle Siedlungsstrukturen haben sich vor allem in Regionen mit Anerbenrecht erhalten, wobei der Besitz an einen Erben übergeht und in seiner Gesamtheit erhalten bleibt. In so genannten Realteilungsgebieten dagegen wurde der Besitz durch wiederholte Erbteilungen gestückelt; die Landwirtschaft ist hier kleinstrukturierter mit kleineren Hofstellen und kleineren Gärten.

In größeren prosperierenden Dörfern in Stadtnähe mit einem Gürtel von Neubausiedlungen hat sich die Siedlungsstruktur stärker verändert als in abgelegenen Dörfern, und demzufolge auch die Flächennutzung in den Siedlungen. Freie Flächen an Hofstellen wurden umgenutzt, Gartenflächen wurden mit Garagen oder neuen Häusern überbaut oder zu Stellplätzen umgewandelt. In einem solchen Umfeld blieben oft nur zwischen Neubauten eingezwängte Restgärten übrig.

Der „Garten“-Begriff in der Geschichte der Gartenkultur
Das Wort „Garten“ leitet sich etymologisch von dem indogermanischen Begriff „gher“ für "Gerte" ab. Der Garten war also ursprünglich das von Gerten (dünnen, biegsamen Stöcken, beispielsweise Haselnuss- oder Weidenruten) umgrenzte Landstück.
In der Frühzeit der Besiedlung unseres Raumes unterlag das Land einem strengen Flurzwang. Einzig der Garten durfte individuell bewirtschaftet werden; er hatte einen hohen Schutzstatus, genauso wie die Hofstatt, und musste mit einer festen, dichten, ganzjährigen Umzäunung versehen werden. Die Eingertungen bzw. Einzäunungen hatten zum einen die praktische Funktion, die Gärten vor Wild und Diebstahl zu schützen; sie markierten jedoch gleichzeitig die Grenzen des Besitzes und hatten so eine rechtliche Bedeutung. In der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung war der „garto“ teilweise oder ganz von der Zahlung des Zehnten an den Grundherren ausgenommen.

Literaturhinweise:
Brunhilde Bross-Burkhardt: Mein Küchengarten. BLV-Buchverlag, 2012
Brunhilde Bross-Burkhardt; Bärbel Schlegel: Bauerngärten in Baden-Württemberg. Silberburg-Verlag, 2002 (nur noch antiquarisch) – Gartenbuch und Reiseführer zu ungeschönten ländlichen Gärten




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