Freitag, 19. Dezember 2014

Urban Gardening in der Schweiz (und in Deutschland)


Selbstversorgung mit Gemüse und Obst im städtischen Umfeld – aus pflanzenbaulicher Perspektive 

Von Dr. rer. agr. Brunhilde Bross-Burkhardt

(Dieser von der Schweizer Zeitschrift "Natürlich" bestellte Artikel wurde nicht veröffentlicht. Deshalb veröffentliche ich den Originalartikel hier in meinem Blog.)

Möhren und Erdbeeren frisch aus dem Garten – weitgehende Selbstversorgung mit Gemüse und Obst streben viele Menschen auf dem Land und in der Stadt an. Auf einem Grundstück am Haus ist dies leicht zu verwirklichen. Städter müssen sich etwas einfallen lassen. Sie wirtschaften in Familiengärten und neuerdings auch in Urban-Gardening-Projekten. Die Szene ist bunt und vielfältig. Eine Agrarwissenschaftlerin betrachtet einige Initiativen aus pflanzenbaulicher Perspektive.

Die Prinzessinnengärten in Berlin sind bekannt für ihren Containeranbau in ausgedienten Brotkisten und Reissäcken mit Bewässerung. Der Gemeinschaftsgarten heißt so, weil das Grundstück an der Prinzessinnenstraße liegt. Foto: B. Bross-Burkhardt   

Was ist Urban Gardening?
Genau genommen sind alle Anbauformen in einem städtischen Umfeld urbanes Gärtnern, also auch traditionelle Familiengärten (Kleingärten, Schrebergärten), Balkongärten oder Dachgärten. Doch der englische Begriff „Urban Gardening“, der in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen ist, hat durch die vielen Veröffentlichungen in den Medien einen anderen Anklang und bezieht sich vor allem auf neue Modelle des Gärtnerns, vor allem des Nutzpflanzenanbaus, in der Stadt. Diese heben sich vom individuellen, manchmal als spießig empfundenen Gärtnern im Familiengarten beziehungsweise Kleingarten ab – vom Guerilla-Gardening mit dem Werfen von Samenbomben über Gemeinschaftsgärten bis hin zu kommerziellen Urban-Agriculture-Projekten wie Aquaponic und Indoor-Farming.

Modell 1: Selbsterntegärten / Mietgärten
Einen einfachen Einstieg in den eigenen Gemüseanbau ermöglichen Selbsterntegärten, die manche Anbieter auch als Mietgärten oder Saisongärten bezeichnen. Es handelt sich dabei um Ackerparzellen, die Landwirte und Gärtner, manchmal auch Kommunen, Nutzern für eine Saison vermieten. In Deutschland ist die Nachfrage nach solchen Gärten groß. Mietgärten sind die ideale und günstige Lösung für alle, die erst einmal Erfahrungen mit dem Gemüseanbau sammeln und sich nicht längerfristig wie in einem Kleingarten festlegen wollen. Die Mietgärten liegen meist in Randbezirken von Städten im Übergang zum Land.

Es ist eine Kombination aus Profianbau und individuellem Anbau. Die Profis bearbeiten den Boden maschinell und bestellen das Land in Reihen mit einer Auswahl gängiger oder auch seltener Gemüsearten und –sorten. Anschließend teilen sie es quer zum Reihenverlauf in Parzellen von etwa 20 bis 60 Quadratmeter Größe auf. Die Parzelle kann auch Teil eines Rundbeets oder eines Kartoffeldammstreifens sein. Die Nutzer mieten die Parzelle vom Frühjahr bis zum Spätherbst. Sie übernehmen die laufenden Arbeiten; hacken, gießen und ernten das Gemüse, säen und pflanzen eventuell Nachkulturen. Die Betreiber stellen die Infrastruktur zur Bewirtschaftung, also Geräte, Wasser, Kompost usw., zur Verfügung. Interessenten finden im Internet Standorte in der Nähe ihrer Wohnung  und können gleich eine Parzelle buchen – bei den „Ackerhelden“ (www.ackerhelden.de), bei „Bauerngarten“ in Berlin (www.bauerngarten.net) oder „Krautgärten“ in München (http://urbane-gaerten-muenchen.de) und etlichen anderen Anbietern.

Modell 2: Regionale Vertragslandwirtschaft
Dies ist ein ähnliches Stadt-Land-Modell, bei dem LandwirtInnen und KonsumentInnen zusammenarbeiten. Landwirte und Gleichgesinnte, die die regionale Lebensmittelversorgung fördern wollen, schließen sich zu Genossenschaften zusammen. Sie pachten Land am Rand von Städten und stellen ausgebildete Landwirte oder Gärtner ein, die sich um einen arten- und sortenreichen Anbau von Gemüse kümmern. Am Anfang des Jahres verkauft die Genossenschaft Abos oder Anteilscheine für Gemüselieferungen während der Saison und sichert so den Absatz. Die Abonnenten oder Genossenschafter sind sichere Abnehmer für die Ernte, sie tragen das Risiko bei Fehlernten mit. Mit dem Gemüseabo verpflichten sie sich zur Mithilfe auf dem Acker. Eine dieser Initiativen ist die Anbaugemeinschaft für eigenes Gemüse an Zürichs Stadtrand (www.dunkelhoelzli.ch), die etwa 30 Ar Ackerflächen und etwas Obst- und Beerenland bewirtschaftet. Folienhäuser für etwa 30 Tomatensorten gibt es auch. Oder die regionale Gartenkooperative Ortoloco in Dietikon (www.ortoloco.ch), die einen 1,4 Hektar großen Acker bewirtschaftet.

Modell 3: Gemeinschaftsgärten, Nachbarschaftsgärten
Viel Aufsehen erregen Initiativen, die brach liegende Freiflächen im Stadtbereich in Gemeinschaftsgärten umwandeln. Eine europäische Hochburg solcher Projekte, die sich aufs Allmende-Prinzip berufen, ist Berlin. Die besondere Situation dieser Stadt macht es möglich: Anders als in anderen dicht bebauten Großstädten, wie zum Beispiel Zürich oder Stuttgart, gibt es hier sehr viele Brachflächen, die kreative Ideen für eine sinnvolle Nutzung geradezu herausfordern. Ein bekanntes Berliner Projekt ist der Garten Rosa Rose (www.rosarose-garten.net), bei dem tatsächlich die Flächen gemeinsam gepflegt werden. So wird es auch in  Basel im Permakulturgarten Landhof (www.permakultur.ch/index.php/projekte/landhofbaselgarten) gehandhabt. Teilweise funktioniert das offenbar ganz gut, bei anderen weniger, weil eben nicht alle Beteiligten gleich viel zur Pflege des Gartens beitragen. Einige Projekte kombinieren Gemeinschaftsteile und individuell bewirtschaftete Beete, zum Beispiel der Nachbarschaftsgarten TonSteineGärten in Berlin (http://gaerten-am-mariannenplatz.blogspot.de/).

Modell 4: Mobile Gärten, Quartiergärten als Zwischennutzung
Viele Urban-Gardening-Projekte machen durch Kisten und Behältnisse aller Art auf sich aufmerksam. – Spektakulär in Szene gesetzt im Berliner Prinzessinnengärten mit ausrangierten Brotkisten aus Kunststoff, alten Reissäcken oder aufgeschlitzten Tetrapackbehältern (http://prinzessinnengarten.net/). Warum nicht? In diesem anbautechnisch ausgeklügelten Vorzeigeprojekt wächst tatsächlich viel Gemüse heran, das im Freiluftrestaurant zu schmackhaften Gerichten zubereitet wird. Überschüssiges wird verkauft. Auf dem Tempelhofer Feld, am Rand des stillgelegten Flughafens Tempelhof mitten in Berlin, sieht es mit windschief gezimmerten Holzkonstruktionen aus wie Villa Kunterbunt. Mais, Schmuckkörbchen und Sonnenblumen ragen neben allerlei Sitzmöbeln in den weiten Himmel (http://www.tempelhoferfreiheit.de/).

Demgegenüber hat der mobile Gemeinschaftsgarten im Zürcher Stadiongarten (www.stadiongarten.ch) mit schmucken Holzcontainern eine überschaubare Dimension. Die Fläche steht vor dem Bau des neuen Stadions für die Zwischennutzung zur Verfügung. Ebenfalls um Zwischennutzung vor einer Überbauung geht es bei dem Projekt Tramdepot Burgernziel in Bern. Der Verein Stadtbuure in Winterthur greift die Urban-Gardening-Idee mit der charmanten Einkaufswägeli-Aktion und Palettengärten auf (www.winterthur-nachhaltig.ch).

Viele Kommunen initiieren mittlerweile selbst die Projekte und stellen Personal und Geld dafür bereit, weil sie die vielen positiven Effekte von Urban Gardening fürs soziale Miteinander sehen und ebenso die Biodiversität fördern wollen.

Modell 5: Urban Gardening gegen Entvölkerung
In manchen Fällen ist nicht Mangel an Land Anlass für ein Urban-Gardening-Projekt, sondern ein Überfluss davon. Mitten in Deutschland, in der sich entvölkernden Stadt Dessau-Rosslau geht es darum, das Brachfallen von Gelände zu verhindern. Hier ist die Situation ähnlich wie in Detroit, wo durch den enormen Bevölkerungsrückgang von 2 Millionen auf unter 700 000 Einwohner weite Teile der Stadt brach fielen. Um dem Bevölkerungsverlust in der eigenen Stadt entgegen zu wirken, überlässt Dessau 20 x 20-m-Parzellen deshalb kostenlos an "Paten" zur Bewirtschaftung. 

Modell 6: Essbare Stadt, Bürgergärten
Ernten, was andere anbauen, ohne etwas dafür tun zu müssen – das mutet wie im Schlaraffenland an. Andernach an der Mosel hat dieses Prinzip der „Essbaren Stadt“ publik gemacht (www.andernach.de). Andere Städte eifern dem nach. Anstelle von Rosen und Sommerblumen stehen hier Stangenbohnen, Zwiebeln, Mangold und Kürbis auf städtischem Grund. Weinreben und Spaliergehölze, Feigen und Mandeln ebenso. Von diesem Modell profitieren Stadt und Bürger: Die Stadt, weil sie für Anlage und Pflege der Gemüsebeete weniger ausgeben muss als für Zierpflanzenbeete und ganz nebenbei sehr viel fürs Stadtimage tut. Und die Bürger, weil sie sich kostenlos bedienen können.

Modell 7: Urban Agriculture
In dicht besiedelten asiatischen Megacities hat sich Urban Agriculture zur Versorgung der Stadtbevölkerung mit Nahrungsmitteln etabliert. In Mitteleuropa gibt es erst vereinzelt Projekte wie das Aquaponic-Farm-System. Es handelt sich dabei um eine Kombination aus Aquakultur von Fischen (meist sind es Tilapia-Barsche) und in Hydrokultur angebautem Gemüse wie Tomaten und Salate. Die Idee ist, die in der Farm erzeugten Fische und das Gemüse ohne Zwischenhandel und Transportwege direkt an das städtische Kaufpublikum zu vertreiben. In dem nahezu geschlossenen System wird das mit Nährstoffen aus den Fischexkrementen angereicherte und aufbereitete Wasser aus der Aquakultur zur Düngung der Gemüse ins Hydrokultursystem gepumpt. Das im Gewächshaus verdunstete Wasser wird über Kältefallen zurückgewonnen und wieder der Aquakultur zugeführt. Die erste derartige kommerzielle Anlage Europas steht im Basler Dreispitzareal auf dem Dach des ehemaligen Lokdepots.

Wie Aquaponic funktioniert, zeigt die UrbanFarmersBox. Der ausrangierte Schiffscontainer mit Gewächshausaufbau steht in Winterthur (http://winterthur-nachhaltig.ch/stadtbuure/). Das Pendant in Berlin heißt Containerfarm oder schlicht Rostlaube (http://www.ecf-farmsystems.com/).))


„Urban Gardening“ – darauf kommt's an
Die Besitz- und Organisationsstruktur der Urban-Gardening-Projekte ist das eine. Der tatsächliche Anbau und die möglichst gute Ernte von Nutzpflanzen das wesentliche andere. Was verspricht mehr Erfolg: Das Gärtnern in gewachsener Erde oder im Container? Gewachsene Erde ist immer besser und bringt sicheren Ertrag, wenn man sich an die gartenbaulichen Regeln hält (und die Schnecken nicht alles abraspeln). Also sonnigen Platz wählen, Boden gut vorbereiten, Gemüse und Kräuter in weitem Abstand säen oder pflanzen und darauf achten, dass die Konkurrenz durch Wildkräuter nicht zu groß wird. Auftretende Probleme mit Schädlings- und Krankheitsbefall, Wasser- und Nährstoffversorgung darf man nicht unterschätzen.

Noch mehr Aufmerksamkeit und Fingerspitzengefühl verlangt der Anbau in Kisten oder in Hochbeeten. Hier kommt es besonders auf die gleichmäßige Wasserversorgung eventuell mit Hilfe einer automatischen Bewässerung an, denn die Gemüsepflanzen oder die Obstgehölze haben nur einen begrenzten Wurzelraum. Anders als in gewachsener Erde können die Kulturpflanzen mit ihren Wurzeln nicht in tiefere Bodenschichten vordringen und sich aus dem Bodenvorrat mit Wasser und Nährstoffen versorgen. Bei Dauerkulturen besteht zudem die Gefahr, dass die Pflanzen im Winter vertrocknen oder ausfrieren.

Ökologisch und nachhaltig ist der Anbau in Gefäßen nur, wenn man sorgsam und sparsam mit Materialien umgeht und Erde (Substrate) ohne Torf verwendet. Die Kosten sollten in einem vernünftigen Verhältnis zum Ertrag stehen. Etwas Widerständigkeit gegen modisches (und teures) Urban-Gardening-Zubehör aus dem Handel gehört auch dazu. 

Und dann legen Sie los mit Mangold, Kartoffeln oder Topinambur in der Kiste oder Tomaten im Eimer – nur nicht am Straßenrand, sondern in sicherer Entfernung von Abgasen, Feinstaub und Reifenabrieb.
Dr. Brunhilde Bross-Burkhardt

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